Der 51-jährige Österreicher Johann Brunner wird am 24. Juni 1944 als politischer Häftling in das KZ-Außenlager Mülsen St. Micheln deportiert. Er überlebt sowohl die Haft im Lager als auch den Todesmarsch, den die Häftlinge nach der Räumung des Lagers zu Fuß bis nach Eibenstock zurücklegen müssen. Beim anschließenden Weitertransport per Zug in Richtung des KZ-Außenlagers Leitmeritz im heutigen Tschechien gelingt ihm auf Höhe des Bahnhofs Kaaden (heute Kadaň) die Flucht aus dem fahrenden Zug. Er überlebt.
81 Jahre später: Sein Enkel Hans Breuer (71 Jahre alt) besucht gemeinsam mit seiner Familie den historischen Ort. Gemeinsam mit uns geht er durch das Gebäude des ehemaligen KZ-Außenlagers in Mülsen. In einem Buch mit den Namen aller 1.477 Häftlinge entdeckt Hans Breuer den Eintrag seines Großvaters. Tief bewegt begibt sich die Familie im Anschluss per Fahrrad auf den Weg, den Johann Brunner damals zu Fuß mit knapp 800 Mitgefangenen gehen musste.
Wir sind sehr dankbar für diese besondere Begegnung und den Besuch der Familie – ein bewegender Moment der Erinnerung und des Weitererzählens.
Eine weitere Geschichte, die Hans sehr bewegte, war die Erzählung seiner Mutter, Rosa Grossmann-Breuer. Sie berichtete ihm, dass sie als junge Frau ihren Vater, Johann Brunner, in Mülsen im KZ-Außenlager besuchte. Hans drängte sie, diese Geschichte Jahrzehnte später aufzuschreiben. Vermutlich stammt das Manuskript aus den 1960er / 1970er Jahren. Die Vorstellung, an dem gleichen Ort zu sein, zu welchem seine Mutter vor 81 Jahren reiste, bewegte Hans sehr. Immer wieder betonte er, dass dieser "Schneid" der Mutter dem Großvater das Leben rettete. Das Manuskript der Geschichte ist als Hörbuch auf YouTube verfügbar und weiter unten verlinkt.
Dabei ist wichtig zu betonen: Rosa Grossmann-Breuers Text ist kein historischer Tatsachenbericht im engeren Sinne, sondern ein sehr persönliches Zeitzeugnis. Sie schrieb ihre Erinnerungen etwa 30 Jahre nach dem Geschehen nieder. Aus heutiger Sicht lassen sich einzelne Aspekte nicht eindeutig verifizieren oder weichen von unserem aktuellen Forschungsstand leicht ab – beispielsweise in Bezug auf Zeitangaben oder bauliche Gegebenheiten des Lagers. So erwähnt Rosa verkohlte Baracken, die jedoch erst nach dem Brand vom 1. Mai 1944 errichtet wurden. Auch der von ihr geschilderte Fliegeralarm im August 1944 lässt sich bislang nicht mit weiteren Quellen belegen. Solche Abweichungen sind jedoch nicht ungewöhnlich bei zeitlich entfernt aufgeschriebenen Erinnerungen, die stark emotional geprägt sind.
Rosa Grossmann-Breuers Bericht vermittelt uns keine überprüfbaren historischen Fakten, aber dafür etwas vielleicht noch Wichtigeres: Er gibt Einblick in die tiefen Gefühle, Ängste und Hoffnungen der Angehörigen von Inhaftierten – ein Perspektivwechsel, der in der Aufarbeitung der NS-Zeit oft fehlt. Dass Hans diese Geschichte bewahrt, in ein Hörbuch verwandelt und öffentlich zugänglich macht, zeigt, welche Bedeutung sie für ihn, seine Familie und das kollektive Gedächtnis hat.
Es werden verschiedene Bilder eingeblendet, die nicht im direkten Zusammenhang mit den Schilderungen stehen, die Horch-Werke in Zwickau betrieben z. B. ein eigenes KZ-Außenlager unabhängig vom Lager in Mülsen.